Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


03] Einmal jedoch, als er in eine kleine, aber sehr niedliche Ortschaft kam, die gerade am Fuße einer gar schönen und sehr hohen Alpe lag, und eine gar schöne Witterung ihm sehr günstig zu sein schien, bekam er eine gar mächtige Lustanwandlung, mit gewählten und gar wohlerfahrenen Führern diese Alpe zu besteigen, um doch endlich auf seinen vielen Reisen einmal zu jenem vielgepriesenen, wahrhaftigen Hochgenusse zu gelangen, der sich den Bergbesteigern auf eine unbeschreibliche Weise in stets überschwenglicher Fülle darbietet - was aber natürlich unser Wanderer nur vom sogenannten Hörensagen und aus manchen gelesenen Gebirgsreiseskizzen kannte.

04] Fest ward also der Entschluß gefaßt, koste es nun, was es wolle, nimmer solle nun diese Vornahme durch was immer für eine möglich vorkommende Kalamität als aufgegeben und unausführbar betrachtet sein! - »Also frisch auf!«, sprach der Wanderer. »Bald, bald, du stolze Spitze, sollst du von meinem schwachen Fuße gedemütigt werden! Ein Sterblicher wird dich, einer Ewigkeit trotzen Wollende, überragen und von dir in weite Fernen hinausschauen und einen Anblick genießen, der dir viele Jahrtausende deines stolzen Daseins hindurch versagt war und fürder versagt bleiben wird!«

05] Die Bergführer standen bereit, mit allem Nötigen versehen. Der Wanderer überließ sich ganz ihrer Leitung, und so ward die Bergreise mutig angetreten. Die erste Stunde ging es gut; denn da war noch recht viel Abwechslung, bald eine Bergkeusche (Berghütte), bald eine Herde mit ihrem Hirten und bald eine Wiese, die ein Bächlein gar behende durchrieselte. Aber nun begann der Wald, anfangs nur spärlich aussehend; je höher hinauf aber ein stets steiler und rauher werdender Weg unsere Gesellschaft führte, desto dichter auch wurde der Wald und desto mehr wurde er von nicht selten nahezu undurchdringlichem Gestrüppe durchzogen.

06] Drei Stunden hatten die Wanderer mit der Besteigung des Berges bloß durch den Wald zugebracht, und noch wollte er kein Ende nehmen. Da fragte der Wanderer die Führer, wie lange wohl der Wald noch dauern werde. - Und diese sprachen: »Noch ein paar Stunden Weges!« - Da ward der Wanderer unwillig und sprach: »Das ist ja entsetzlich! Wahrlich, so der überaus beschwerliche Wald noch ein paar Stunden dauern sollte, da kehre ich lieber um und will unten im Tale einen förmlichen Eid ablegen, mit diesem höchst ermüdenden Versuche für alle meine Lebzeiten jede künftige Bergbesteigungslust auf das vollkommenste abgekühlt zu haben!«



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