Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 1


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5. O laßt der Berge mächt'ge Worte tief ins Herz euch bohren!
Denn wieder weiter legen sie die Zung an eure Ohren,
also vernehmlich: »Wenn die Nebel uns bebend umkreisen,
verhüllend unsre hohen Scheitel, seht, da bereisen
gar hehre Wesen mächtig uns, schon alte Totenwächter,
und sänften da mit ihrer Lieb' in uns die Gottverächter
durch ungezählter Tränen Menge aus der Liebe Augen.
Die da in uns der Liebe Spende sorglich in sich saugen,
die werden dann erweckt, um zu erstehn ins freie Leben,
und nach und nach ins höh're, wie's euch Menschen ist gegeben.«

6. Und da der Berge Mund für euch schon einmal offen steht,
so horcht noch ferner, was der Hohen Hauch zu euch hinweht:
»Wenn mächtig über unsre Häupter frische Winde eilen,
daß ihr darob auf uns nicht lange könnt forschend weilen,
da ist's, daß Legionen neue Leben sich erheben
und, sorglich eilend, nach den Pflanzenreichen Eb'nen streben.
Um solches verbestimmte Ziel baldmöglichst zu erreichen,
vereinen sie zu Nebeln sich nach alten Lösgebräuchen
und fallen dann als leichter Regen über Pflanzentriften,
allda sie, neubelebend, selbst sich in das Leben lüften.

7. Und wenn im spätren Herbst die frühen Flocken uns bekleiden,
darob uns alles warme rege Leben pflegt zu meiden,
ja selbst so manche heit're Quelle eisig stockt im Fallen,
und alles so verstummt auf unsren freien Lebenshallen,
da winkt dir, Forscher, eine neue Zeit, ihr treu zu bleiben
mit deinem Aug' und Ohre. Denn da fängt sich's an zu treiben hinauf, hinab.
Nach allen Seiten siehst du nichts als streben
nach einer festen Form, um so zu künden sich als Leben.
Denn solches ist die Heimwehzeit, da alles sich möcht' finden.
Darum da jeder Geist sich gerne läßt durch andre binden.

8. Und wenn dann erst der volle, treue Winter ist gekommen,
alsdann wird nicht gar selten unsre feste Brust beklommen.
Denn da ereilen uns des hohen Nordens Friedensrichter,
bestreuen unsre tiefen Furchen bald durch ihr Gelichter
von tiefem Schnee und starrstem Eise, uns zur Probe drückend.
O seht, dann ist's auf unsern Höh'n zu wandeln nicht entzückend.
Denn da wird jedes freie Leben also hart ergriffen,
daß es wohl nimmer fühlen mag der Liebe süßes Triefen.
Und wenn des Frühlings Hauch zerreißet auch des Nordens Bande,
da kehrt kein Leben mehr zurück zum früher'n Heimatlande!



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