Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 2)


Kapitelinhalt 51. Kapitel: Grund aller Dinge und Erscheinungen.

(Am 28. Juli 1843 von 4 3/4 - 7 1/2 Nachm.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1976 Lorber-Verlag

01] Ihr habt so viel als möglich meinem Rathe Folge geleistet, und staunet nun schon, so viel ich merke, über die Maßen ob des Anblickes der Wunderdinge, die sich nun hier in einem ganz anderen Lichte klar beschaulich darstellen.

02] Ihr saget und fraget freilich wohl: Aber lieber Freund und Bruder, wie ist Solches um des Herrn willen wohl möglich?! - Siehe, als wir so in unserem Gemüthe des Herrn gedachten, da umwandelte sich allmälig das weiße Licht, von dem alle die Dinge hier umflossen waren, in ein röthliches, und dieses röthliche Licht läßt nun die Gegenstände in ihm ganz klar erschauen.

03] Wir sehen nun die Säulenrondeau's, die Gallerie, die Thüren in das innere Gebäude, das herabhängende, gleicharmige aus Kugeln zusammengesetzte Kreuz. Der Kugeln zählen wir nun sichtbarlich genau also zwölf, wie wir sie früher nur tastbar gezählt haben;

04] und da siehe, welch' eine Pracht in diesen Kugeln! - Eine jede scheint eine kleine Welt zu sein, in deren innerem Raume nahe zahllose Wunderdinge wie lebendig zu erschauen sind, und in einer jeden Kugel etwas ganz Anderes, - und so viel wir mit unseren Augen merken können, so scheinen diese inneren förmlichen Schöpfungen genau den zwölf Artikeln zu entsprechen, die du, lieber Freund und Bruder, uns in zwölf so herrlichen Abschnitten vorgeführt hast!

05] Ach, welche Herrlichkeit es doch ist, solche Wunderdinge anzusehen! - Fürwahr, nimmer satt kann man werden; immer neuen Reiz bekommt dieser Miniaturwelten-Anblick in diesen zwölf Kugeln, aus denen das Kreuz formirt ist;

06] und da sieh nur einmal die Säulen an. Fürwahr, äußerlich sind sie doch so glatt polirt, daß wir uns die Oberfläche des Aethers nicht glatter denken mögen; aber das Inwendige der Säule ist ja förmlich lebendig, und entspricht in gedehnterem und ausführlicherem Maßstabe all' dem wunderbar Erscheinlichen in den Kugeln. Es ist nun überaus wunderbar anzublicken, wie die Farben der mannigfaltigsten Formen, die sich innerhalb einer solchen Säule bewegen, fortwährend überaus sanft abwechseln.

07] Ein sanftes Schillern reizt das Auge immer von Neuem; denn bei der leisesten Wendung treten Farben zum Vorscheine, und das Merkwürdigste dabei aber ist, daß dieselben Farben, die da gleich sind denen auf unserer Erde, hier einen ganz anderen Charakter annehmen. - Wir haben auch ein Roth, ein Grün, ein Blau, ein Violett, ein Gelb, und die verschiedensten Uebergänge von diesen Farben; aber fürwahr, wer da nachdenken will und mag, der soll es thun und eine Basis setzen für jede Farbe, und aus dieser Basis den Grund derselben bestimmen. Ja er soll sagen, welches Roth ist das Grundroth, welches Grün das Grundgrün, welches Blau das Grundblau, welches Violett das Grundviolett und welches Gelb das Grundgelb, von dem dann alle anderen Farbnüancen abgeleitet werden?

08] Welches Roth ist denn das so ganz eigentliche Roth? Ist das Blutroth das eigentliche oder das Rosenroth, oder das Purpurroth, oder das Scharlachroth, oder das Carminroth? Alles ist roth, und doch steht ein Roth dem andern nicht gleich. Ist das Dunkelroth mehr das Grundroth, oder das Lichtroth? Und dergleichen Unterschiede hat jede Farbe; wo wohl ist der Grund einer jeden? - Siehe, lieber Freund und Bruder, das mag auf der Erde wohl Niemand bestimmen; aber hier erblicken wir im Ernste die Grundfarben, und diese kommen uns vor, als was man von einer reifen Ananas spricht, sie habe jeglichen Geschmack in sich, den man sich einbildet.

09] Und so sehen wir hier auch im Ernste Farben, die nicht selten wie aus dem Hintergrunde hervor strahlen, und diese Farben haben ein so sonderbares Schillern, daß man in Roth alle seine Nuancen auf einmal erschaut, und es richtet sich dieses Schillern beinahe nach dem Wunsche des Beschauers; das welche Roth man sich am stärksten vorstellt, dasselbe sticht auch im Augenblicke am stärksten hervor, ohne jedoch das eigentliche Grundfarbenwesen des Roth zu Grunde zu richten. Ja fürwahr, von ähnlichen Farben läßt sich ein armer Sünder auf der Erde wohl nie etwas träumen.

10] Also haben wir auf der Erde wohl lauter getheilte und gebrochene Farben; aber von einer Grundfarbe, die da alle ihre Nuancen in sich fassete, haben wir durchaus nichts. Es giebt bei uns wohl auch Schillerungen in dem Wesen der Farbe, aber bei diesen Schillerungen kommt bei jeder Wendung eine ganz andere Farbe zum Vorschein; aber bei diesem Schillern hier schillern in der rothen Farbe nur alle Nuancen vom Roth, in der grünen alle Nüancen vom Grün, und so weiter durch alle Farbenabstufungen hindurch.

11] Daneben aber entdecken wir wunderbarer Weise noch ganz neue fremde Farben, die uns noch auf unserer mageren Erde nie vorgekommen sind. - Ja fürwahr, so ist auf der Erde Alles nur ein Stückwerk, Alles nur ein matter, höchst gebrochener Schimmer von der Herrlichkeit, die wir hier in solcher Grundüberfülle erschauen!

12] O lieber Freund und Bruder! Sage uns doch, wie wir diese Sache nehmen sollen? - Warum konnten wir ehedem im weißen Lichte nichts, nun in diesem röthlichten aber gar so endlos Vieles erschauen?

13] Ja, meine lieben Freunde und Brüder! Sehet, das bewirkt alles die Liebe und ihr Licht. Ich habe es euch ja gleich im Anfange gesagt: Im absoluten Lichte der Weisheit ist für einen beschränkten Geist nichts oder wenig zu erschauen; aber im Lichte der Liebe wird das Licht der Weisheit in Formen gezwängt, und kann aus der einmal gestellten Form nicht wieder entweichen, so lange das Licht der Liebe, oder besser, das Feuer der Liebe es wie mit tausend mächtigen Armen gefangen hält. Im absoluten Lichte der Weisheit gleicht der Mensch einer vom Weinstock abgetrennten Rebe, welche verdorrt, sich mit der Zeit verflüchtiget und nimmer irgend eine Frucht bringt. Aber im Lichte der Liebe bleibt sie am Weinstocke, und bringt tausendfältige Frucht. Daß Solches durchaus buchstäblich richtig ist, möget ihr auch schon mit der leichtesten Mühe von der Welt an eueren sogenannten kalten Weltweisen in die klarste Erfahrung bringen. Diese Menschen verachten die Liebe, erklären sie sogar für eine Thorheit, und schwärmen fortwährend in lauter übersinnlichen Calculationen herum, bauen Grundsätze über Grundsätze, machen Hypothesen über Hypothesen, und verlieren sich aus den Grundsätzen und Hypothesen in zahllose eben so nichtige Schlüsse, als wie nichtig da sind ihre Grundsätze und Hyothesen selbst; - und wenn ihr sie am Ende aller ihrer Grundsätze, Hypothesen und Schlüsse fraget über Eines oder das Andere, so werden sie euch überall eine solche Antwort geben, die sie für's Erste selbst nicht im Geringsten verstehen und ihr sie somit noch weniger verstehen werdet, und - der allerweiseste Schluß, den die Allerweisesten am Ende herausbringen, ist der, daß sie als die Allerweisesten nichts wissen, nichts haben, und nichts sind!

14] Um aber Dieses noch besser einzusehen, kann Ich euch gleichwohl ein Paar solcher Weltweisen aus der alten und neuen Zeit anführen. - Ihr werdet sicher vom Sokrates, Aristoteles und Plato gehört und gelesen haben; diese drei Weisen, obschon man sie zu den besseren rechnen könnte, haben mit all' ihrer Weisheit beiweitem nicht den millionsten Theil von Dem herausgebracht, als was ein ganz einfaches, noch kaum lesen könnendes Kind herausbringt, so es den Herrn zum ersten Male gläubig den lieben guten Himmelsvater nennt!

15] Sie haschten nach Erscheinungen und Erfahrungen; aber wozu nützten ihnen diese, da sie von keiner den Grund erfassen konnten, welcher da allein in der Liebe zum Herrn liegt?

16] Wer möchte wohl die zahllosen Erscheinungen im Ernste zählen wollen, wer in der Unendlichkeit auf ihren Grund dringen? Denn wo er immer einen zu haben glauben wird, da wird er sich gerade in dem Nützlichen Mittelpunkte der Unendlichkeit befinden, von dem aus es natürlicher Maßen wieder nach allen Seiten hin unendlich fortgeht. -

17] Wer aber die Liebe hat, der hat den Grund aller Dinge und aller Erscheinungen in sich, weil er den Herrn in sich hat, und kann daher auch allenthalben mit der leichtesten Mühe von der Welt auf den Grund kommen; aber der Weisheits- oder Unendlichkeitsjäger, der wird in der Unendlichkeit wohl schwerlich irgend ein Ziel finden, dahin er sein flüchtiges und nichtiges Weisheitswurfgeschoß richten möchte.

18] Ich meine, aus diesen wenigen Beispielen dürfte euch die Sache wohl so ziemlich klar sein, besonders wenn ihr dazu noch ein paar Blicke auf die Weltweisen euerer Zeit werfet, die da alle ihr Wurfgeschoß auf den Herrn hin richteten, und wollten Ihn fangen und messen mit der Elle und mit der Meßruthe. Was aber haben sie mit all' ihrer Weisheit am Ende errungen? Nichts, als den Verlust des Herrn sogar!

19] Den sie suchten im Unendlichen, im Unzugänglichen, Den fanden sie nicht,' und waren am Ende genöthiget, aus ihrer eigenen Nichtigkeit einen Gott zu creiren, der aber freilich dann erst Gott ist, so es ihnen als Obergöttern beliebt, solch' einen Begriff in ihre Vorstellung aufzunehmen. Ich meine, um diese allereclatanteste Dummheit auf den ersten Blick einzusehen, bedarf es durchaus nicht mehr, als eines höchstens fünf bis sieben Jahre alten Kinderverstandes; und der einfachste Mensch, dem sogar das Wort: „Weltweisheit oder Philosophie" eben so fremd wie die beiden Erdpole ist, wird bei einer solchen Gottheits-Pronuntiation auf den ersten Augenblick die zwar höchst einfache, aber desto treffendere Entgegnung zum Vorscheine bringen und sagen:

20] He, Freund, wie kann denn das sein? - Wenn Gott erst dann Gott wäre, wann ihr Ihn denket, da möchte ich denn doch auch wissen, wer euch erschaffen hat, und hat euch die Fähigkeit gegeben, daß ihr eben einen Gott denken könnet? - Denn das, was ihr von Gott aussaget, ist ja noch viel dümmer, als so da Jemand ganz ernstlich behaupten möchte, daß ein Haus von sich selbst gebaut wird ohne Baumeister, und ein Mensch erst dann ein Baumeister wird, wenn ihn allenfalls ein von sich selbst entstandenes Haus dafür annehmen will. -

21] Sehet, hat der schlichte Mensch in seiner ganz einfachen Pronuntiation nicht um's Unbegreifliche weiser gesprochen, als das ganze hochweise philosophische Gremium zusammen genommen? - Ja, bei Dem kann man sagen: Der hat das Centrum des Nagels getroffen, und hat mit einem Schlage eine ganze Butte voll weise glänzender Schmeißfliegen erschlagen; denn eine Schmeißfliege ist doch unstreitig das treffendste Bild und Symbolum für einen absoluten Philosophen; - diese glänzt auch, als wäre sie mit lauter Gold umzogen. Wenn man sie im freien Zustande irgend steht, da sollte man doch glauben, dieses Thier müsse doch die allerköstlichste Lichtäthernahrung in sich aufnehmen, durch welche es zu einer solchen äußeren Glanzpracht gelangt; aber nur ein Haufen Excremente, ob menschliche oder anderthierische, irgend wohin stellen, und man wird sogleich in's Klare kommen, welch' Geistes Kind und von welcher Kost genährt dieses Thierchen ist. Findet es einen Schmeißhaufen, da tanzt es so lange herum, bis es allen Succus demselben entwunden hat; in die Ueberreste legt es dann noch eine Menge Würmer, welche nach kurzer Zeit in dieser eben nicht zu ästthetischen Wohnstätte zu neuen Fliegen derselben Art ausgeboren werden.

22] Thun euere Philosophen nicht auf ein Haar dasselbe? - Wenn ihr sie äußerlich betrachtet, da haben sie ein Ansehen, als strotzeten sie vom gediegendsten Golde der echten Weisheit; und ihre Beschäftigung nennen sie eine rein geistige; fragt ihr sie aber im Ernste nach etwas rein Geistigem, so werdet ihr bei diesen Menschen sogleich auf den allergröbsten Materialismus stoßen, dem zufolge sie euch sogleich darthun werden, daß ohne Materie durchgehends nichts Geistiges gedacht werden kann, und das Geistige somit erst von der Materie abstrahirt werden muß und nicht und nirgends als absolut bestehen kann, sondern muß zu seiner Aeußerung allenthalben einen materiellen Organismus haben; fällt dieser hinweg, so fällt auch alle geistige Wirkung und Aeußerung hinweg. - Die menschliche Gedankenfähigkeit ist dann nichts Anderes, als die Wirkung des materiellen Organismus, in dem sich die Kräfte wie in einer chemischen Retorte erst entwickeln müssen, um dann so lange zu wirken, so lange die Retorte nicht zerschlagen wird; ist die Retorte aber durch einen unglücklichen Stoß um ihr Dasein gekommen, dann ist es auch mit den in ihr entwickelten und wirkenden chemischen Kräften zu Ende.

23] Sehet, gerade also philosophirt ja unsere Schmeißfliege auch, und sagt gewisserart durch ihre Handlung: Ich lebe nur aus dem Unrathe, und lebe so lange, als ich irgend einen Unrath finde; nehmt ihr mir den Unrath weg, so ist mein Leben dahin. Denn meine Lebenskraft sauge ich nur aus dem Unrathe, und bin daher in allen meinen Theilen nichts, als ein glänzender Unrath selbst; nehmt diesen hinweg, und ich glänzende Schmeißfliege habe aufgehört zu sein! Wohl mir, daß ich noch eine Reproductionskraft besitze; sonst ginge mit der Wegnahme des Unrathes nicht nur ich für mich, sondern mit mir mein ganzes Geschlecht auf einen Hieb völlig zu Grunde.

24] Also absolute Philosophen kleben sich an die Materie, weil sie in ihr ein Centrum, oder einen eigentlichen Standpunkt gefunden zu haben glauben.

25] Warum aber halten sie sich an die Materie? Weil sie sich gleich einer Schmeißfliege fortwährend im unhaltbaren luftigen alleinigen Weisheitslichte herum bewegen; weil sie aber da nichts finden, so muß es ihnen ja wohl thun, wenn sie auf irgend einen materiellen Brocken aufsitzen können, und da mit ihren wissenschaftlichen Saugrüsseln den geistigen Lebensstoff heraus zu pumpen versuchen. - Wenn aber dieser gar bald ausgepumpt sein wird, da bleibt ihnen am Ende nichts Anderes übrig, als sich entweder in ihren Schülern, oder wenigstens in ihren hinterlassenen Schriften zu reproduciren, damit durch dieselben noch die letzten Reste der Excremente aufgezehrt werden, und von ihnen am Ende nichts mehr Giltiges übrig bleibt, als ihre Namen, und daß sie mit all' ihren geistigen Arbeiten durchaus nichts Geistiges gefunden haben.

26] Sehet, solches Alles lehrt und zeigt uns wesenhaft das röthliche Licht; daher wollen wir in diesem Lichte uns auch sogleich in das zehnte Stockwerk, oder auf die elfte Gallerie begeben. - Hier ist die Treppe; also nur muthig darauf losgeschritten!

01] Ihr habt soviel als möglich meinem Rate Folge geleistet und staunet nun schon, soviel ich merke, über die Maßen ob des Anblickes der Wunderdinge, die sich nun hier in einem ganz anderen Lichte klar beschaulich darstellen.

02] Ihr sagt und fragt freilich wohl: Aber lieber Freund und Bruder, wie ist solches um des Herrn willen wohl möglich! Siehe, als wir so in unserem Gemüte des Herrn gedachten, da verwandelte sich allmählich das weiße Licht, von dem alle die Dinge hier umflossen waren, in ein rötliches, und dieses rötliche Licht läßt nun die Gegenstände in ihm ganz klar erschauen.

03] Wir sehen nun die Säulenrondelle, die Galerie, die Türen in das innere Gebäude, das herabhängende gleicharmige, aus Kugeln zusammengesetzte Kreuz. Der Kugeln zählen wir nun sichtbar genau so zwölf, wie wir sie früher nur tastend gezählt haben.

04] Und da siehe, welch eine Pracht in diesen Kugeln! Eine jede scheint eine kleine Welt zu sein, in deren innerem Raume nahe zahllose Wunderdinge wie lebendig zu erschauen sind, und in einer jeden Kugel etwas ganz anderes. Und soviel wir mit unseren Augen merken können, so scheinen diese inneren förmlichen Schöpfungen genau den zwölf Artikeln zu entsprechen, die du, lieber Freund und Bruder, uns in zwölf so herrlichen Abschnitten vorgeführt hast.

05] Ach, welche Herrlichkeit ist es doch, solche Wunderdinge anzusehen! Wahrlich, nimmer satt kann man werden; immer neuen Reiz bekommt dieser Miniaturwelten-Anblick in diesen zwölf Kugeln, aus denen das Kreuz formiert ist.

06] Und da sieh nur einmal die Säulen an. Fürwahr, äußerlich sind sie doch so glatt poliert, daß wir uns die Oberfläche des Äthers nicht glatter denken können; aber das Inwendige der Säule ist ja förmlich lebendig und entspricht in gedehnterem und ausführlicherem Maßstabe all dem wunderbar Erscheinlichen in den Kugeln. Es ist nun überaus wundervoll anzublicken, wie die Farben der mannigfaltigsten Formen, die sich innerhalb einer solchen Säule bewegen, fortwährend sanft abwechseln.

07] Ein sanftes Schillern reizt das Auge immer von neuem, denn bei der leisesten Wendung treten andere Farben zum Vorscheine, und das Merkwürdigste dabei ist, daß diese Farben, die denen auf unserer Erde gleich sind, hier einen ganz anderen Charakter annehmen. - Wir haben auch ein Rot, ein Grün, ein Blau, ein Violett, ein Gelb und die verschiedensten šbergänge von diesen Farben; aber fürwahr, wer da nachdenken will und mag, der soll es tun und eine Basis setzen für jede Farbe, und auf dieser Basis den Grund derselben bestimmen. Ja er soll sagen, welches Rot das Grundrot, welches Grün das Grundgrün, welches Blau das Grundblau, welches Violett das Grundviolett und welches Gelb das Grundgelb ist, von dem dann alle anderen Farbnuancen abgeleitet werden.


08] Welches Rot ist denn das so ganz eigentliche Rot? Ist das Blutrot das eigentliche oder das Rosenrot oder das Purpurrot oder das Scharlachrot oder das Carminrot? Alles ist rot, und doch sieht ein Rot dem andern nicht gleich. Ist das Dunkelrot mehr das Grundrot oder das Lichtrot? Und dergleichen Unterschiede hat jede Farbe; wo wohl ist der Grund einer jeden? Siehe, lieber Freund und Bruder, das mag auf der Erde wohl niemand bestimmen, aber hier erblicken wir im Ernste die Grundfarben, und diese kommen uns vor, als was man von einer reifen Ananas spricht, sie habe jeglichen Geschmack in sich, den man sich einbildet.

09] Und so sehen wir hier auch im ernste Farben, die nicht selten wie aus dem Hintergrunde hervorstrahlen. Diese Farben haben ein so sonderbares Schillern, daß man in Rot alle seine Nuancen auf einmal erschaut, und es richtet sich dieses Schillern beinahe nach dem Wunsche des Beschauers; das Rot, welches man sich am stärksten vorstellt, dasselbe sticht auch im Augenblicke am stärksten hervor, ohne jedoch das eigentliche Grundfarbenwesen des Rot zugrunde zu richten. Ja fürwahr, von ähnlichen Farben läßt sich ein armer Sünder auf der Erde wohl nie etwas träumen.

10] Also haben wir auf der Erde wohl lauter geteilte und gebrochene Farben; aber von einer Grundfarbe, die da alle ihre Nuancen in sich faßte, haben wir durchaus nichts. Es gibt bei uns wohl auch Schillerungen in dem Wesen der Farbe, aber bei diesen Schillerungen kommt bei jeder Wendung eine ganz andere Farbe zum Vorschein. Bei diesem Schillern hier schillern in der Farbe nur alle Nuancen von Rot, in der grünen alle Nuancen von Grün, und so weiter durch alle Farbenabstufungen hindurch.

11] Daneben aber entdecken wir wunderbarer Weise noch ganz neue fremde Farben, die uns auf unserer mageren Erde noch nie vorgekommen sind. Ja fürwahr, so ist auf der Erde alles nur ein Stückwerk, alles nur ein matter, höchst gebrochener Schimmer von der Herrlichkeit, die wir hier in solcher Grundüberfülle erschauen!

12] O lieber Freund und Bruder! Sage uns doch, wie wir diese Sache nehmen sollen? Warum konnten wir ehedem im weißen Lichte nichts, nun in diesem rötlichen aber gar so endlos vieles erschauen?

13] Ja, meine lieben Freunde und Brüder! Seht, das bewirkt alles die Liebe und ihr Licht. Ich habe es euch ja gleich im Anfange gesagt: Im absoluten Lichte der Weisheit ist für einen beschränkten Geist nichts oder wenig zu erschauen. Aber im Lichte der Liebe wird das Licht der Weisheit in Formen gezwängt und kann aus der einmal gestellten Form nicht wieder entweichen, solange das Licht der Liebe, oder besser, das Feuer der Liebe es wie mit tausend mächtigen Armen gefangen hält. Im absoluten Lichte der Weisheit gleicht der Mensch einer vom Weinstock abgetrennten Rebe, welche verdorrt, sich mit der Zeit verflüchtigt und nimmer irgendeine Frucht bringt. Aber im Lichte der Liebe bleibt sie am Weinstocke und bringt tausendfältige Frucht. Daß solches durchaus buchstäblich richtig ist, möget ihr auch schon mit der leichtesten Mühe von der Welt an euren sogenannten kalten Weltweisen in die klarste Erfahrung bringen. Diese Menschen verachten die Liebe, erklären sie sogar für eine Torheit und schwärmen fortwährend in lauter übersinnlichen Spekulationen herum, bauen Grundsätze über Grundsätze, machen Hypothesen über Hypothesen und verlieren sich aus den Grundsätzen und Hypothesen in zahllose ebenso nichtige Schlüsse, als wie nichtig da sind ihre Grundsätze und Hypothesen selbst. Und wenn ihr sie am Ende aller ihrer Grundsätze, Hypothesen und Schlüsse über eines oder das andere fragt, so werden sie euch bei allen eine solche Antwort geben, die sie erstens selbst nicht im geringsten verstehen und ihr sie somit noch weniger verstehen werdet, und der allerweiseste Schluß, den die Allerweisesten am Ende herausbringen, ist der, daß sie als die allerweisesten nichts wissen, nichts haben, und nichts sind!

14] Um aber dieses noch besser einzusehen, kann ich euch gleichwohl ein paar solcher Weltweisen aus der alten und neuen Zeit anführen. - Ihr werdet sicher von Sokrates, Aristoteles und Plato gehört und gelesen haben. Diese drei Weisen, obschon man sie zu den besseren zu rechnen hat, haben mit all ihrer Weisheit bei weitem nicht den millionsten Teil von dem herausgebracht, was ein ganz einfaches, noch kaum lesen könnendes Kind herausbringt, so es den Herrn zum ersten Male gläubig den lieben guten Himmelsvater nennt!

15] Sie haschten nach Erscheinungen und Erfahrungen; aber wozu nützten ihnen diese, da sie von keiner den Grund erfassen konnten, welcher da allein in der Liebe zum Herrn liegt?

16] Wer möchte wohl die zahllosen Erscheinungen im Ernste zählen wollen, wer in der Unendlichkeit auf ihren Grund dringen? Denn wie er immer glauben wird, einen zu haben, da wird er sich gerade in dem trüglichen Mittelpunkte der Unendlichkeit befinden, von dem aus es natürlichermaßen wieder nach allen Seiten hin unendlich fortgeht.

17] Wer aber die Liebe hat, der hat den Grund aller Dinge und aller Erscheinungen in sich, weil er den Herrn in sich hat, und kann daher auch allenthalben mit der leichtesten Mühe von der Welt auf den Grund kommen; aber der Weisheits- oder Unendlichkeitsjäger, der wird in der Unendlichkeit wohl schwerlich irgendein Ziel finden, dahin er sein flüchtiges und nichtiges Weisheitswurfgeschoß richten möchte.

18] Ich meine, aus diesen wenigen Beispielen dürfte euch die Sache wohl so ziemlich klar sein, besonders wenn ihr dazu noch ein paar Blicke auf die Weltweisen eurer Zeit werft, die alle ihr Wurfgeschoß auf den Herrn hin richteten, und wollten ihn fangen und messen mit der Elle und mit der Meßrute. Was aber haben sie mit all ihrer Weisheit am Ende errungen? Nichts als den Verlust des Herrn!

19] Den sie suchten im Unendlichen, im Unzugänglichen, den fanden sie nicht und waren am Ende genötigt, aus ihrer eigenen Nichtigkeit einen Gott zu kreieren, der aber freilich dann erst Gott ist, so es ihnen als Obergöttern beliebt, solch einen Begriff in ihre Vorstellung aufzunehmen. Ich meine, um diese allereklatanteste Dummheit auf den ersten Blick einzusehen, bedarf es durchaus nicht mehr als eines höchstens fünf bis sieben Jahre alten Kinderverstandes. Der einfachste Mensch, dem sogar das Wort 'Weltweisheit' oder 'Philosophie' ebenso fremd ist wie die beiden Erdpole, wird bei einer solchen Gottheits-Vorstellung auf den ersten Augenblick die zwar höchst einfache, aber desto treffendere Entgegnung zum Vorscheine bringen und sagen:

20] He! Freund, wie kann denn das sein? Wenn Gott erst dann Gott wäre, wenn ihr ihn denkt, da möchte ich denn doch auch wissen, wer euch erschaffen hat, und daß ihr eben einen Gott denken könnt, wer hat euch diese Fähigkeit gegeben? Denn das, was ihr von Gott aussagt, ist ja noch viel dümmer, als so da jemand ganz ernstlich behaupten möchte, daß ein Haus von sich selbst gebaut wird, ohne Baumeister, und ein Mensch erst dann ein Baumeister wird, wenn ihn allenfalls ein von sich selbst entstandenes Haus dafür annehmen will.

21] Seht, hat der schlichte Mensch in seinem ganz einfachen Ausspruch nicht ums Unbegreifliche weiser gesprochen als das ganze hochweise philosophische Gremium zusammengenommen? Ja, bei dem kann man sagen: Der hat das Zentrum des Nagels getroffen und hat mit einem Schlage eine ganze Butte voll weiß glänzender Schmeißfliegen erschlagen, denn eine Schmeißfliege ist doch unstreitig das treffendste Bild und Symbolum für einen absoluten Philosophen; diese glänzt auch, als wäre sie mit lauter Gold überzogen. Wenn man diese Fliege im Freien sieht, da sollte man doch glauben, dieses Tier müsse die allerköstlichste Lichtäthernahrung in sich aufnehmen, durch welche es zu einer solchen äußeren Glanzpracht gelangt. Aber nur einen Haufen Exkremente, gleich ob menschliche oder tierische, irgendwohin gestellt, und man wird sogleich ins klare kommen, welch Geistes Kind und von welcher Kost genährt dieses Tierchen ist. Findet es einen Schmeißhaufen, da saugt es so lange herum, bis es allen Succus demselben entwunden hat. In die šberreste legt es dann noch eine Menge Würmer, welche nach kurzer Zeit in dieser eben nicht zu ästhetischen Wohnstätte zu neuen Fliegen derselben Art ausgeboren werden.

22] Tun eure Philosophen nicht auf ein Haar dasselbe? Wenn ihr sie äußerlich betrachtet, da haben sie ein Ansehen, als strotzeten sie vom gediegendsten Golde der echten Weisheit, und ihre Beschäftigung nennen sie eine rein geistige. Fragt ihr sie aber im Ernste nach etwas rein Geistigem, so werdet ihr bei diesen Menschen sogleich auf den allergröbsten Materialismus stoßen, demzufolge sie euch sogleich dartun werden, daß ohne Materie durchgehends nichts geistiges gedacht werden kann, und das Geistige somit erst von der Materie abstrahiert werden muß und nicht und nirgends als absolut bestehen kann, sondern zu seiner Äußerung allenthalben einen materiellen Organismus haben muß. Fällt dieser hinweg, so fällt auch alle geistige Wirkung und Äußerung hinweg. Die menschliche Gedankenfähigkeit ist dann nichts anderes als die Wirkung des materiellen Organismus, in dem sich die Kräfte wie in einer chemischen Retorte erst entwickeln müssen, um dann so lange zu wirken, solange die Retorte nicht zerschlagen wird. Ist die Retorte aber durch einen unglücklichen Stoß um ihr Dasein gekommen, dann ist es auch mit den in ihr entwickelten und wirkenden chemischen Kräften zu Ende.

23] Seht, gerade also philosophiert ja unsere Schmeißfliege auch und sagt gewisserart durch ihre Handlung: Ich lebe nur aus dem Unrate und lebe so lange, als ich irgendeinen Unrat finde. Nehmt ihr mir den Unrat weg, so ist mein Leben dahin, denn meine Lebenskraft sauge ich nur aus dem Unrate und bin daher in allen meinen Teilen selbst nichts als ein glänzender Unrat. Nehmt diesen hinweg, und ich glänzende Schmeißfliege habe aufgehört zu sein! Wohl mir, daß ich noch eine Reproduktionskraft besitze; sonst ginge mit der Wegnahme des Unrates nicht nur ich für mich, sondern mit mir mein ganzes Geschlecht auf einen Hieb völlig zugrunde.

24] Also absolute Philosophen kleben sich an die Materie, weil sie in ihr ein Zentrum oder einen eigentlichen Standpunkt gefunden zu haben glauben.

25] Warum aber halten sie sich an die Materie? Weil sie sich gleich einer Schmeißfliege fortwährend im unhaltbaren luftigen alleinigen Weisheitslichte herumbewegen. Weil sie aber da nichts finden, so muß es ihnen ja wohltun, wenn sie auf irgendeinen materiellen Brocken aufsitzen können und da mit ihren wissenschaftlichen Saugrüsseln den geistigen Lebensstoff herauszupumpen versuchen. Wenn aber dieser gar bald ausgepumpt sein wird, da bleibt ihnen am Ende nichts anderes übrig, als sich entweder in ihren Schülern oder wenigstens in ihren hinterlassenen Schriften zu reproduzieren, damit durch dieselben noch die letzten Reste der Exkremente aufgezehrt werden und von ihnen am Ende nichts Gültiges mehr übrigbleibt als ihre Namen und daß sie mit all ihren geistigen Arbeiten durchaus nichts Geistiges gefunden haben.

26] Seht, solches alles lehrt und zeigt uns wesenhaft das rötliche Licht; daher wollen wir in diesem Lichte uns auch sogleich in das zehnte Stockwerk oder auf die elfte Galerie begeben. Hier ist die Treppe; also nur mutig darauf losgeschritten -

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