Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 1)


Kapitelinhalt 14. Kapitel: Der Ringwall als Entsprechung. Gestalten der verschiedenen christlichen Kirchen.

(Am 9. Dezember 1842 von 4 1/2 bis 7 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1975 Lorber-Verlag

01] Wenn ihr unserem Ringwalle eine bedeutendere Aufmerksamkeit schenket, so werdet ihr sehen, daß innerhalb desselben nicht nur eine, sondern mehrere Bahnen am inwendigen Flächenrande den Anfang nehmen, und sonach schnecken- oder spiralförmig sich gegen das verschlossene Gezelt drehend ziehen. Wenn ihr noch aufmerksamer dahin sehet, so werdet ihr dazu noch entdecken, daß alle diese Bahnen auf eine wohlberechnete Weise gegen das Gezelt also angelegt sind, daß man aus gar keiner zur Eingangsthür in das Gezelt gelangen kann; und dennoch heißt es am Rande der bedeutenden Fläche: Wer da die schmälste Bahn ersehen kann, und dann, ohne sich auf eine Seitenbahn zu verirren, fortwandelt, der gelangt sicher und unfehlbar in das Gezelt, allda ein großer Lohn seiner harret.

02] Was etwa doch diese sonderbare Schneckenbahn-Durchlauferei besaget? - Ich will darauf keine absolute Antwort geben; ihr werdet sie aber schon ohnehin finden, so ihr die Sache näher werdet betrachtet haben. - Sehet somit nur recht aufmerksam hin auf diesen zwar thörichten, aber eben in diesem Thörichten vielsagenden Tummelplatz!

03] Sehet, wo immer eine solche Bahn von Außen nach Einwärts beginnt, da auch befinden sich ein sogenannter Bahnchef, Bahndirector und noch eine ziemliche Menge anderer Helfershelfer. - Sehet, wie sie überall außerordentlich ernste und ganz wichtige Mienen machen. Auf dem breiten Walle herum seht ihr eine große Menge Menschen belderlei Geschlechtes. - Sehet, wie dort bei einem Bahnanfange die sämmtlichen Bahninteressenten und hauptsächlich der Bahnchef ihre Bahn als die alleinige richtige anpreisen, und sagen: daher kommet Alle! Diese Bahn ist die allein richtige, auf welcher ihr ganz sicher zu der Thüre des Gezeltes, und somit auch in das Gezelt selbst gelangen könnet, allwo ein unermeßlicher Preis eurer harret! - Aber sehet, alsogleich der nächste nachbarliche Bahnchef schreit, und saget den Gästen: Laßt euch nicht anführen! Zahlet uns das viel billigere Bahngeld; denn unsere Bahn ist die älteste, somit auch approbirteste; auf ihr sind schon so viele Tausende und Tausende in das Gezelt gelangt, und haben sich dort ihren hohen Preis abgeholt. - Aber der erste Bahnchef erhebt sich sogleich ganz gewaltig protestirend, und warnt auf das Allerdringendste die Gäste, den betrügerischen Lockungen des zweiten Bahnchefs zu folgen. - Der zweite Bahnchef steht ganz gewaltig auf gegen solche Verunglimpfung, und schreit mit gewaltiger Stimme: Ich sage nicht, daß ihr hierher gehen solltet; ich stelle es nicht euerem freien Willen anheim, ob ihr aus dieser meiner Bahn gehen wolltet oder nicht, sondern weil ich wohl weiß, daß meine Bahn die älteste und alleinrichtigste ist, so will ich euch bei den Haaren dazu ziehen; denn es ist traurig genug, daß man solchen Dummköpfen, wie ihr seid, solch ein namenloses Glück ordentlich mit Gewalt auf den Rücken nachwerfen muß! - Wieder erhebt sich der erste Bahnchef, und schreit über die Maßen: Folget nur diesem meinen Nachbar; ihr wisset aber nicht, daß seine Bahn in der Nähe des Zeltes einen verborgenen und überdeckten Abgrund hat, in welchem ein Jeder unwiederbringlich zu Grunde geht, der diese Bahn wandelt. - Bei solcher Aeußerung erhebt sich der zweite Bahnchef noch gewaltiger, sendet, ohne Weiteres ein Wort zu reden, seine Adjuncten hinauf auf den Wall, und läßt von ihnen eine Menge gewaltig zusammen fangen, und sie ziehen auf seine Bahn hin; und wenn sie den Bahnzins entrichten wollen, da thut er prahlerisch großmüthig, und sagt: Ich nehme von euch nichts an, sondern ich will nur euer Glück; und so wandelt denn diese meine Bahn. Ihr könnet laufen und langsam gehen, wie ihr wollt, und ich hafte euch mit Allem dafür, daß ihr auf dieser meiner Bahn nirgends einen verderblichen Abgrund treffen, sondern alle wohlbehalten in das Zelt gegangen werdet; - nur mache ich euch das zur Bedingung, daß ihr ja nicht aus meiner Bahn tretet. Tretet ihr unvorsichtiger oder eigenmächtiger Weise aus derselben, dann stehe ich für nichts gut; denn auf einer jeden andern Bahn gelanget ihr statt in das Gezelt auf irgend einen verdeckten Abgrund. - Und so sehet ihr denn die Menge fortwandeln;

04] aber da sehet, gleich daneben ist schon wieder ein dritter Bahnchef. Der schlägt zwar keinen Lärm, macht dabei ein ganz gutmüthiges und mitleidiges Gesicht; und die Gäste fragen ihn, warum er Solches thut, was ihm denn so sehr am Herzen liegt? - Und dieser ruft ihnen ganz bescheiden mit stilleren Worten zu, und sagt: Wer sollte da nicht traurig sein?! Diese Armen gehen ja alle den falschen Weg, wahrend doch nur dieser der alleinrichtige ist, und beinahe schnurgerade zur Thüre des Gezeltes hinlenkt. Ich sage euch nicht: Kommet hierher; sondern wann ihr es allenthalben werdet erfahren haben, daß ihr nichts erreichet habet, als eine vergeblich leere Plackerei, so werdet ihr euch schon selbst zu meiner Bahn verfügen; - ich sage euch: Mir ist es sogar nicht einmal recht, so Jemand zu meiner Bahn läuft, und macht dadurch meine ränkesüchtigen nachbarlichen Bahnchefs eifersüchtig; - wann er sich überall überzeugen wird, daß er geprellt worden ist, wird er ohnehin zu mir kommen, und wird mir noch gern einen hohen Bahnpreis bezahlen, so ich ihm nur meine Bahn eröffnen will.

05] Aber sehet da einen vierten Bahnchef, wie er ganz heimlich verschmitzt auf seinen Machbar herüber sieht, und seinen Kopf schüttelt, und endlich spricht: Nur zu! wer zuletzt lacht, lacht am besten. Ich sage euch, meine Adjuncten, lasset alle diese Wallgäste unangefochten; sollen die Narren machen, was sie wollen; wir laden ja keinen ein, sondern übersteiget den Wall hinaus in's Freie. Dort draußen fischet und bringet sie daher; wenn diese auswendigen Dummköpfe sobald hierher gebracht werden, da sind wir wohl sicher, daß sie keine andere Bahn suchen werden, und keine andere betreten, als die unsrige. - Wir pflanzen nur eine Fahne auf mit der Inschrift: "Einzig richtige Bahn zum Ziele!" - machen aber dabei so wenig Spektakel als möglich, und die fetten Fische gehören alle uns!

06] Sehet aber weiter! Daneben ist schon wieder eine andere ganz schmale und dürftig ausgestattete Bahn; der Bahnchef sitzt gar kümmerlich am Eingang, und scheint sich um Niemanden zu kümmern, seine wenigen Adjuncten folgen seinem Beispiele. - Sehet, wie sich mehrere Gäste zu diesem Bahnchef hinunterziehen und ihn ganz verstohlen heimlich fragen: Wie steht es mit deiner Bahn? - Er sagt darauf gar nichts als nur die wenigen Worte: Meine Bahn spricht für sich selbst; wer sie wandeln will, der wird sich überzeugen, ob sie zum Ziele bringen wird oder nicht. Diese sonderbaren und geheimnißvollen Worte machen Viele stutzen, und bei ihm fangen bedeutend viele Bahngäste an sich einzufinden.

07] So sie um den Preis fragen, da sagt er: Hier ist kein Preis, sondern wer diese Bahn betreten will, der gebe Alles, was er hat, denn er wird auch Alles wiederfinden; ich für mich aber brauche nichts! - Diese Bedingung macht dann die Bahnlustigen wieder stutzen, und es zieht sich Einer um den Andern wieder auf den Wall zurück.

08] Aber sehet, daneben ist gleich wieder eine andere Bahn; sie hat einen ganz griesgrämigen alten Bahnchef; dieser hat eine förmliche Einnahmskasse vor der Bahn aufgerichtet. Er ladet zwar Niemanden ein, aber wer dahin kommt, und fragt ihn: Was ist das für eine Bahn, und führt sie wohl in das Gezelt? - so spricht der Bahnchef ganz leise und geheimnißvoll: Freund, es war noch keine Bahn, als diese, und diese allein ist die älteste, und verbindet sich mit der Pforte des Gezeltes; willst du sie wandeln, so wird es dein Schade nicht sein; nur mußt du das Bahngeld, welches so und so viel beträgt, in feiner klingender Münze bezahlen; dafür aber bekommst Du einen Wechsel gleichlautenden Werthes. Wenn du die Bahn richtig wandelst, und dich am Wege nicht von einer andern verlocken läßt, so kommst du ohne Weiteres in's Gezelt, und machest somit den Haupttreffer; solltest du dich aber jedoch verirren, so hast du dabei aber dennoch die gute Hoffnung, denn mit diesem Wechsel in der Hand wirst du dennoch für deine hier eingelegte klingende Münze allzeit so viel und so viel an Interessen zu beziehen haben. - Dieser Bahnchef, wie ihr sehet, hat einen sehr bedeutenden Zulauf von Groß und Klein; aber nicht etwa der Bahn wegen; daher strotzet er von Gold und Silber und allerlei Edelgestein. Was aber das Gezelt betrifft, um das bekümmert er, der Chef, sich so zu sagen nicht im Geringsten mehr; - denn seine Sache sind nur Geldgeschäfte. Und so denn machen sich auch seine Bahnwandler eben nicht viel daraus, ob sie das Gezelt günstig erreichen oder nicht; denn sie haben ja die Wechsel in ihren Händen!

09] Aber sehet ferner hin; da giebt es noch mehrere wenig betretene Bahnen. Ihre Bahnchefs werden von den Hauptbahnchefs gewisserart nur geduldet; daher sitzen diese auch ganz still bei ihren Bahnen. Kommt ein Wallfahrer zu einem oder dem andern, so ist es wohl und gut; kommt aber Niemand, so lassen sie sich darum auch kein graues Haar wachsen; denn sie stehen im Grunde nicht auf den Bahnertrag an, sondern sie unterhalten sich so ganz gemächlich mit ihren allerlei Krambuden, die sie bei ihren Bahnen aufgestellt haben. Werden sie von Jemandem ganz heimlich gefragt: Ist diese deine Bahn die richtige? so sagen sie ganz gleichgiltig: Wenn diese nicht die richtige ist, welche solle es denn sein? - Und sehet, also ist diese Kreisbahnebene umlagert von lauter Bahnchefs, Großen, Schreienden, Beklagenden, Schweigenden, Heimlichthuenden; mit Ausnahme einer einzigen Bahn, welche nämlich die schmälste ist, findet ihr überall Wandler und Zielsucher. Da aber zu Ende alle Bahnen eingezäunt sind, so geschieht es, daß alle diese Bahnwandler am Ende an die Wand des Gezeltes anstoßen; nur zur Thüre gelangt Keiner. Und so Viele ihr eilig dahin wandeln sehet, eben so Viele werden an der schroffen Wand wieder abgestumpft, und suchen umkehrend wieder die Freiheit, indem sie durch ihr Bemühen nichts erreicht haben; und Alles drängt sich hin zum jenigen Bahnchef, der da gegen klingende Münze Wechsel ausstellt. Und sehet, sogar alle die übrigen Bahnchefs senden unvermerkt ihre Adjuncten mit Beuteln voll Silbers und Goldes hin, und lassen sich von ihm dafür Wechsel ausstellen;

10] aber nur zu unserm armseligen Bahnchef, der am Eingang der engsten Bahn ruht, begiebt sich Niemand hin. Dieser allein hat somit auch überaus wenig zu thun, und so noch Jemand hingehen will, so wird er entweder ausgelacht, oder aber auch von den ersteren Bahnchefs gewaltsam davon abgezogen.

11] Nun aber sehet noch einmal hin, wie auf dem Walle herum eine bedeutende Menge tüchtiger Späher sich aufgestellt hat, und verfolgen mit ihren Augen diese schmale völlig unbetretene Bahn; und Einige darunter sagen: Sehet hin, eine Bahn führt richtig zur Thüre; so aber alle die Bahnen rings umher an die blanke Wand nur führen, wer weiß, ob gerade diese schmale Bahn nicht zur Thüre führt?

12] Sehet, eine Menge zieht sich schon um den Wall herum, und verfolgt mit ihren Augen die Bahn; und die Bahnchefs begreifen nicht, was dieses Herumwandeln bedeutet? - Aber wehe Allen, wenn diese glücklichen Spione den richtigen Gang der schmalen Bahn werden ausgekundschaftet haben; dann wird es arg mit ihnen sein; denn sie werden zur Rechenschaft gezogen werden; alle ihre Bahnen werden zerstöret, und werden gleichgemacht werden der engen Bahn; und der unansehnlichste Bahnchef wird alles Geschäft an sich ziehen.

13] Daher wundert euch nicht, daß man auf dem Ringwalle herum schon gar häufig ein Gelächter vernimmt, besonders über die am meisten schreienden Bahninhaber; denn solches Gelächter hat seinen guten Grund, und ihr könnt es glauben: Alle diese gegenwärtigen Hauptbahnen müssen mit Hohn und Gelächter belegt werden; alle ihre Bahnlehren und großen Verheißungen müssen zu Schanden werden, wenn die Hauptlinie gefunden wird! - Glaubet es aber, wie euch diese geistige Erscheinlichkeit lehrt, also verhält es sich auch in der That.

14] Es giebt schon gar viele scharf sehende Bahnforscher auf dem Walle, und sie haben nur mehr die letzte halbe Schneckenbahnwende zu erforschen; wenige Blicke und Schritte mehr, und ihr werdet die schmale Bahn ganz reichlich betreten erblicken! Ihre Wandler werden unfehlbar zur Thüre und in's Gezelt gelangen, werden da die großen Schätze nehmen, und werden es zeigen allen Gästen.

15] Wann Solches geschehen wird, sodann wird es auch geschehen sein um alle anderen Bahnen. Die Gäste werden über alle die Bahnen herein brechen, alle Zäune niederreißen, und sich also von allen Seiten der Thüre des Gezeltes nahen!

16] Es braucht kaum näher bestimmt zu werden, daß die erstbesprochene Bahn das Hierarchenthum, die zweite die griechische Kirche, die dritte die protestantische, die vierte die englische Kirche bezeichnet; und daß die anderen Bahnen noch verschiedene andere Secten bezeichnen. Wann ihr nun Solches auch wisset, so wißt ihr somit auch Alles, was da dieses Bild bezeichnet; - und so ihr es recht beachtet, da wird euch wieder noch eine bedeutendere und größere Löse dessen werden, was ihr geschaut habet in der Sphäre des sechsten Geistes. - Nächstens das vierte Bild; und somit gut für heute!

01] Wenn ihr unserem Ringwall eine bedeutendere Aufmerksamkeit schenkt, so werdet ihr sehen, daß innerhalb desselben nicht nur eine, sondern mehrere Bahnen am inwendigen Flächenrande den Anfang nehmen und schnecken- oder spiralförmig sich gegen das verschlossene Gezelt drehend hinaufziehen. Wenn ihr noch aufmerksamer hinseht, so werdet ihr dazu noch entdecken, daß alle diese Bahnen auf eine wohlberechnete Weise gegen das Gezelt also angelegt sind, daß man auf gar keiner zur Eingangstür in das Zelt gelangen kann. Dennoch heißt es am Rande der bedeutenden Fläche: Wer da die schmalste Bahn ersehen kann und dann, ohne sich auf eine Seitenbahn zu verirren, fortwandelt, der gelangt sicher und unfehlbar in das Gezelt, allda ein großer Lohn seiner harrt.

02] Was etwa doch diese sonderbare Schneckenbahn-Durchlauferei besagt? Ich will darauf keine absolute Antwort geben; ihr werdet sie ohnehin finden, so ihr die Sache näher betrachtet haben werdet. Seht somit nur recht aufmerksam hin auf diesen zwar törichten, aber eben in diesem Törichten vielsagenden Tummelplatz!

03] Seht, wo immer eine solche Bahn von außen nach einwärts beginnt, da auch befinden sich ein sogenannter Bahnchef, ein Bahndirektor und noch eine ziemliche Menge anderer Helfershelfer. Seht, wie sie alle außerordentlich ernste und ganz wichtige Mienen machen. Auf dem breiten Walle seht ihr eine große Menge Menschen beiderlei Geschlechtes. - Seht, wie dort bei einem Bahnanfange die sämtlichen Bahninteressenten und hauptsächlich der Bahnchef ihre Bahn als die allein richtige anpreisen und sagen: daher kommt alle! Diese Bahn ist die allein richtige, auf welcher ihr ganz sicher zu der Türe des Gezeltes und somit auch in das Gezelt selbst gelangen könnt, wo ein unermeßlicher Preis euer harrt! - Aber seht, gleich der nächste nachbarliche Bahnchef schreit und sagt den Gästen: Laßt euch nicht anführen! Zahlt uns das viel billigere Bahngeld, denn unsere Bahn ist die älteste, somit auch approbierteste; auf ihr sind schon so viele Tausende und Tausende in das Gezelt gelangt und haben sich dort ihren hohen Preis abgeholt. Doch der erste Bahnchef erhebt sich sogleich, ganz gewaltig protestierend, und warnt auf das Allerdringendste die Gäste, den betrügerischen Lockungen des zweiten Bahnchefs zu folgen. Der zweite Bahnchef steht ganz erregt auf gegen solche Verunglimpfung und schreit mit gewaltiger Stimme: Ich sage nicht, daß ihr hierher gehen sollt; ich stelle es nicht eurem freien Willen anheim, ob ihr auf dieser meiner Bahn gehen wollt oder nicht, sondern weil ich wohl weiß, daß meine Bahn die älteste und alleinrichtige ist, so will ich euch bei den Haaren dazuziehen. Es ist traurig genug, daß man solchen Dummköpfen, wie ihr seid, solch ein namenloses Glück ordentlich mit Gewalt auf den Rücken nachwerfen muß! Wieder erhebt sich der erste Bahnchef und schreit über die Maßen: Folgt nur diesem meinem Nachbar! Ihr wißt aber nicht, daß seine Bahn in der Nähe des Zeltes einen verborgenen und überdeckten Abgrund hat, in welchem ein jeder unwiderbringlich zugrunde geht, der diese Bahn wandelt. Bei solcher Äußerung erhebt sich der zweite Bahnchef noch gewaltiger, sendet, ohne ein weiteres Wort zu reden, seine Adjunkten hinauf auf den Wall, läßt von ihnen eine Menge gewaltsam zusammenfangen und sie auf seine Bahn hinziehen. Wenn sie den Bahnzins entrichten wollen, da tut er prahlerisch großmütig und sagt: Ich nehme von euch nichts an, sondern ich will nur euer Glück; und so wandelt denn diese meine Bahn. Ihr könnt laufen und langsam gehen, wie ihr wollt, und ich hafte euch mit allem dafür, daß ihr auf dieser meiner Bahn nirgends einen verderblichen Abgrund treffen, sondern alle wohlbehalten in das Zelt gelangen werdet. Nur mache ich euch das zur Bedingung, daß ihr ja nicht aus meiner Bahn tretet. Tretet ihr unvorsichtiger- oder eigenmächtiger Weise aus derselben, dann stehe ich für nichts gut, denn auf jeder andern Bahn gelangt ihr statt in das Gezelt auf irgendeinen verdeckten Abgrund. - Und so seht ihr denn die Menge fortwandeln.


04] Aber seht, gleich daneben ist schon wieder ein dritter Bahnchef. Der schlägt zwar keinen Lärm, macht dabei ein ganz gutmütiges und mitleidiges Gesicht und die Gäste fragen ihn, warum er solches tut, was ihm denn so sehr am Herzen liegt? Und dieser ruft ihnen ganz bescheiden mit stilleren Worten zu und sagt: Wer sollte da nicht traurig sein! Diese Armen gehen ja alle den falschen Weg, während doch nur dieser der allein richtige ist und beinahe schnurgerade zur Türe des Gezeltes hinlenkt. Ich sage euch nicht: Kommt hierher; sondern wenn ihr es allenthalben werdet erfahren haben, daß ihr nichts erreicht habt als eine vergeblich leere Plackerei, so werdet ihr euch schon selbst zu meiner Bahn verfügen. Ich sage euch: Mir ist es sogar nicht einmal recht, so jemand zu meiner Bahn läuft und macht dadurch meine ränkesüchtigen nachbarlichen Bahnchefs eifersüchtig. Wenn er sich überall überzeugen wird, daß er geprellt worden ist, wird er ohnehin zu mir kommen und wird mir noch gern einen hohen Bahnpreis bezahlen, so ich ihm nur meine Bahn eröffnen will.


05] Aber seht da einen vierten Bahnchef, wie er heimlich verschmitzt auf seinen Nachbar herübersieht, seinen Kopf schüttelt und endlich spricht: Nur zu! Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Ich sage euch, meine Adjunkten, laßt alle diese Wallgäste unangefochten. Sollen die Narren machen, was sie wollen; wir laden ja keinen ein, sondern übersteigt den Wall hinaus ins Freie. Dort draußen fischt und bringt sie daher. Wenn diese auswendigen Dummköpfe sobald hierher gebracht werden, da sind wir wohl sicher, daß sie keine andere Bahn suchen werden und keine andere betreten als die unsrige. Wir pflanzen nur eine Fahne auf mit der Inschrift: Einzig richtige Bahn zum Ziele! machen dabei aber so wenig Spektakel als möglich, und die fetten Fische gehören alle uns!

06] Seht aber weiter! Daneben ist schon wieder eine andere, ganz schmale und dürftig ausgestattete Bahn. Der Bahnchef sitzt gar kümmerlich am Eingang und scheint sich um niemanden zu kümmern; seine wenigen Adjunkten folgen seinem Beispiele. Seht, wie sich mehrere Gäste zu diesem Bahnchef hinunterziehen und ihn ganz verstohlen fragen: Wie steht es mit deiner Bahn? Er sagt darauf gar nichts als nur die wenigen Worte: Meine Bahn spricht für sich selbst; wer sie wandeln will, der wird sich überzeugen, ob sie ihn zum Ziele bringen wird oder nicht. Diese sonderbaren und geheimnisvollen Worte machen viele stutzen, und bei ihm fangen bedeutend viel Bahngäste an, sich einzufinden.

07] So sie um den Preis fragen, da sagt er: Hier ist kein Preis, sondern wer diese Bahn betreten will, der gebe alles, was er hat, denn er wird auch alles wiederfinden; ich für mich aber brauche nichts! Diese Bedingung macht dann die Bahnlustigen wieder stutzen, und es zieht sich einer um den andern wieder auf den Wall zurück.

08] Aber seht, daneben ist gleich wieder eine andere Bahn. Sie hat einen ganz griesgrämigen alten Bahnchef. Dieser hat eine förmliche Einnahmskasse vor der Bahn aufgerichtet. Er ladet zwar niemanden ein, aber wer dahin kommt und fragt ihn: Was ist das für eine Bahn, und führt sie wohl in das Gezelt? zu dem spricht der Bahnchef ganz leise und geheimnisvoll: Freund, es war noch keine Bahn als diese, und diese allein ist die älteste und verbindet sich mit der Pforte des Gezeltes. Willst du sie wandeln, so wird es dein Schade nicht sein; nur mußt du das Bahngeld, welches so und so viel beträgt, in feiner, klingender Münze bezahlen. Dafür aber bekommst du einen Wechsel gleichlautenden Wertes. Wenn du die Bahn richtig wandelst und dich am Wege nicht von einer andern verlocken läßt, so kommst du ohne weiteres ins Gezelt und machst somit den Haupttreffer. Solltest du dich aber doch verirren, so hast du dabei noch gute Hoffnung, denn mit diesem Wechsel in der Hand wirst du dennoch für deine hier eingelegte klingende Münze allzeit so und so viel an Interessen zu beziehen haben. Dieser Bahnchef, wie ihr seht, hat einen sehr bedeutenden Zulauf von groß und klein, aber nicht etwa der Bahn wegen, sondern allein des reinen Geldgeschäftes wegen; daher strotzt er von Gold und Silber und allerlei Edelgestein. Was aber das Gezelt betrifft, um das bekümmert er, der Chef, sich sozusagen nicht im geringsten mehr, denn seine Sache sind nur Geldgeschäfte. Und so denn machen sich auch seine Bahnwandler eben nicht viel daraus, ob sie das Gezelt günstig erreichen oder nicht, denn sie haben ja die Wechsel in ihren Händen.

09] Aber seht ferner hin; da gibt es noch mehrere wenig betretene Bahnen. Ihre Bahnchefs werden von den Hauptbahnchefs gewisserart nur geduldet; daher sitzen diese auch ganz still bei ihren Bahnen. Kommt ein Wallfahrer zu einem oder dem andern, so ist es wohl und gut; kommt aber niemand, so lassen sie sich darum auch kein graues Haar wachsen. Sie stehen im Grunde nicht auf den Bahnertrag an, sondern sie unterhalten sich so ganz gemächlich mit ihren allerlei Krambuden, die sie bei ihren Bahnen aufgestellt haben. Werden sie von jemandem heimlich gefragt: Ist diese deine Bahn die richtige? so sagen sie ganz gleichgültig: Wenn diese nicht die richtige ist, welche soll es denn sein? - Und seht, so ist diese Kreisbahnebene umlagert von lauter Bahnchefs, Großen, Schreienden, Beklagenden, Schweigenden, Heimlichtuenden; mit Ausnahme einer einzigen Bahn, welche nämlich die schmalste ist, findet ihr überall Wandler und Zielsucher. Da aber zu Ende alle Bahnen eingezäunt sind, so geschieht es, daß alle diese Bahnwandler am Ende an die Wand des Gezeltes anstoßen. Zur Türe gelangt keiner. Und so viele ihr eilig dahinwandeln seht, ebenso viele werden an der schroffen Wand abgestumpft und suchen umkehrend wieder die Freiheit, indem sie durch ihr Bemühen nichts erreicht haben. Alles drängt sich hin zu jenem Bahnchef, der gegen klingende Münzen Wechsel ausstellt. Und seht, sogar alle die übrigen Bahnchefs senden unvermerkt ihre Adjunkten mit Beuteln voll Silbers und Goldes hin und lassen sich von ihm dafür Wechsel ausstellen.

10] Aber nur zu unserm armseligen Bahnchef, der am Eingang der engsten Bahn ruht, begibt sich niemand hin. Dieser allein hat somit auch wenig zu tun, und so noch jemand hingehen will, so wird er entweder verlacht oder aber von den ersteren Bahnchefs gewaltsam davon abgezogen.

11] Nun aber seht noch einmal hin, wie auf dem Wall eine bedeutende Menge tüchtiger Späher sich aufgestellt hat, und verfolgen mit ihren Augen die schmale, völlig unbetretene Bahn. Einige darunter sagen: Seht hin, eine Bahn führt richtig zur Türe. So aber alle die Bahnen rings umher an die blanke Wand nur führen, wer weiß, ob nicht gerade diese schmale Bahn zur Türe führt?

12] Seht, eine Menge zieht sich schon um den Wall herum und verfolgt mit ihren Augen die Bahn. Die Bahnchefs begreifen nicht, was dieses Herumwandeln bedeutet. Aber wehe allen, wenn diese glücklichen Spione den richtigen Gang der schmalen Bahn werden ausgekundschaftet haben. Dann wird es arg mit ihnen sein, denn sie werden zur Rechenschaft gezogen werden. Alle ihre Bahnen werden zerstört und gleichgemacht werden der engen Bahn; und der unansehnlichste Bahnchef wird alles Geschäft an sich ziehen. -

13] Daher wundert euch nicht, daß man auf dem Ringwalle schon häufig ein Gelächter vernimmt, besonders über die am meisten schreienden Bahninhaber. Solches Gelächter hat seinen guten Grund, und ihr könnt es glauben: Alle diese gegenwärtigen Hauptbahnen müssen mit Hohn und Gelächter belegt werden; alle ihre Bahnlehren und großen Verheißungen müssen zuschanden werden, wenn die Hauptlinie gefunden wird! Glaubt es aber, wie euch diese geistige Erscheinlichkeit lehrt, also verhält es sich auch in der Tat.


14] Es gibt schon gar viele scharf sehende Bahnforscher auf dem Walle, und sie haben nurmehr die letzte halbe Schneckenbahnwende zu erforschen. Wenige Blicke und Schritte mehr, und ihr werdet die schmale Bahn ganz reichlich betreten erblicken! Ihre Wandler werden unfehlbar zur Türe und ins Gezelt gelangen, werden da die großen Schätze nehmen und sie zeigen allen Gästen.

15] Wenn solches geschehen wird, dann wird es auch geschehen sein um alle anderen Bahnen. Die Gäste werden über alle die Bahnen hereinbrechen, alle Zäune niederreißen und sich so von allen Seiten der Türe des Gezeltes nahen!

16] Es braucht kaum näher bestimmt zu werden, daß die erstbesprochene Bahn das Hierarchentum, die zweite die griechische Kirche, die dritte die protestantische, die vierte die englische Kirche bezeichnet; und daß die anderen kleineren Bahnen noch verschiedene andere Sekten bezeichnen. Wenn ihr nun solches wißt, so wißt ihr somit auch alles, was da dieses Bild bezeichnet. Und so ihr es recht beachtet, wird euch wieder noch eine bedeutendere und größere Löse dessen werden, was ihr geschaut habt in der Sphäre des sechsten Geistes. - Nächstens das vierte Bild; und somit gut für heute!

Home  |    Inhaltsverzeichnis  |   Werke Lorbers