Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 174


Herrliches Naturschauspiel. Gott ist dankbare Schöpfungsbetrachtung wohlgefällig. Liebe soll in allem das vorherrschende Element bei jedem Menschen sein!

01] Als nach etwa einer Stunde solcher (ergänzt: Sonnenaufgang) in einer kaum beschreiblichen Pracht und Majestät erfolgte, da wurden alle vollauf erbaut und bis zu Tränen gerührt und sangen Psalmen zur Ehre Dessen, der solches alles so wundervoll, gut und herrlich erschaffen hat.

02] Nach solch einer feierlichen Morgenstunde sagte der alte Tobias: »O Herr! Das ist ein anderer Tempel als der zu Jerusalem, der stets ist voll Unrates und Unflates! Wie oft habe ich in meinem Leben Psalter auf Psalter gesungen, und mein Herz war dabei trocken wie ein zehnjähriges Stroh und kalt wie eine Eisscholle! Und wie warm schlägt es jetzt meinem allmächtigen Schöpfer entgegen! Wie oft war ich im Tempel und wie froh, wenn ich dessen allzeit stinkende Hallen verlassen durfte; und hier hätte ich Lust, eine Ewigkeit zuzubringen und aus der allerliebewärmsten Tiefe meines Herzens zu preisen den großen Gott, der alle die zahllosen herrlichsten Dinge erschaffen hat! Du lieber Meister, wie soll ich Dir danken für solch einen nie gefühlten, heilig-hohen Lebensgenuß?!«

03] Sage Ich: »Wer so in die Schöpfung Gottes hinaustritt und so warm fühlt und empfindet, was er darum seinem Gott und Schöpfer schuldet, wie bei dir nun das der Fall ist, der hat Mir damit auch schon den besten und angenehmsten Dank dargebracht.

04] Bleibe du aber fortan voll solcher Gefühle und Empfindungen und verschließe nie dein Herz vor dem ärmeren Bruder, und wenn er auch einmal dein Feind gewesen wäre, so sollst du mit der Weile einer großen Gnade aus den Himmeln gewürdigt werden! So du siehst allerlei Sünder, so richte und verdamme sie nicht; denn - verstehe Mich wohl - sie sind es ja zumeist nicht, die da sündigen, sondern der Geist, der sie treibt. Du kannst nicht wissen, von welch einem Geiste sie getrieben werden. Es gibt viele, die in ihrer Frömmigkeit gar leicht hochmütig werden könnten und möchten dann bald mit vieler Verachtung und Abscheu auf die Sünder von ihrer vermeinten Tugendhöhe herabblicken, wodurch sie dann unbewußt zu größeren Sündern würden, als da sind jene, die sie verabscheuen; da kommt dann ein Geist und treibt solche Menschen zu irgendeiner Sünde an, und der schon stolz gewordene Tugendheld erfährt es also an sich, dass er noch lange kein Gott, sondern nur ein ganz gewöhnlich schwacher Mensch ist!

05] Ein solcher Mensch wird dann wieder demütig und wird Buße tun, über die er sich früher als vermeinter Tugendheld schon viel zu erhaben dünkte!

06] Und also soll ja niemand einen Sünder hassen darob, dass er ein Sünder ist; ein jeder aber tut wohl und genug, so er allein die Sünde haßt und tatsächlich verabscheut! Nur einem hartnäckigen Bösewicht, der mit der Sünde eins geworden ist, sollst du die Hand nicht reichen! So er aber darum in ein gerechtes Elend gekommen ist zu seiner Besserung, dann sollst du seiner gedenken, und so von ihm eine Bitte an dich kommt, so sollst du davor dein Ohr nicht verschließen; und so du siehst einen Missetäter zum Tode ausführen, sollst du nicht Freude fühlen ob dessen traurigstem Lose, und hätte er selbst an deinem Hause die Missetat begangen, derentwegen er nun zum Tode geführt wird; denn siehe, es ist nicht unmöglich, dass auch ein solcher Missetäter selig werden kann in der andern Welt!

07] Liebe sei in allen Dingen das vorherrschendste Element des Lebens eines jeden Menschen! Eine Gerechtigkeit, die nicht in der Liebe ihre Wurzeln hat, ist keine Gerechtigkeit vor Gott; und der sie als ein Richter ausübt, ist darum ein zehnfach größerer Sünder vor Gott als jener, den er verurteilt, und Gott wird ihn einst ebenso unbarmherzig richten, wie er seinen Nächsten gerichtet hat.

08] Darum richte du niemanden und verdamme auch niemanden, und hätte er auch an dir noch so grob gesündigt, so wirst dereinst auch du nicht gerichtet und nicht verdammt werden; denn mit welchem Maß da jemand mißt, mit dem gleichen Maße wird ihm dereinst in der andern Welt wieder vergolten werden. Der strenge, nach was immer für einem Gesetze noch so gerechte, aber dabei kalte, lieblose Richter wird dereinst über sich ein ebenso streng gerechtes und unerbittliches Gericht finden; die Häscher und Scharfrichter aber sollen nie das Angesicht Gottes erschauen!

09] Wer einen Dieb und Mörder fängt, hat wohlgetan, so er ihn einem gerechten Gerichte überliefert; aber der Richter soll nie vergessen, dass der Missetäter, solange er in dieser Welt lebt, noch kein völliger Teufel ist, sondern ein mißbildeter, verführter Mensch, an dem zu seiner möglichen Besserung noch alle Versuche zu machen sind, bevor er als ein unverbesserlicher Teufel zum Tode verurteilt werden kann!

10] Beim Scharfgerichte aber soll es also zugehen, dass solch ein Verurteilter nicht alsogleich getötet werden soll, sondern er werde den ganzen Tag über vor dem Volke an den Pfahl fünf Spannen hoch über der Erde fest angebunden an Händen und Füßen.

11] Zeigt er am Pfahle treuherzig und flehend an, dass er sich bessern werde, so soll er vom Pfahle genommen und in eine passende und liebegerechte Besserungsanstalt gebracht, jedoch nicht eher in die Freiheit gesetzt werden, als bis seine Besserung sich als ungezweifelt wahr erweist. Gibt aber der am Pfahle hängende Missetäter kein Zeichen zur Besserung den ganzen Tag über, dann ist er ein vollendeter Teufel und soll darum auch, so er noch lebt am Pfahle, nach dem Untergange getötet und danach samt dem Pfahl auf der Richtstätte verbrannt werden.

12] Solches sage Ich dir darum, weil du auch ein Richter warst und noch bist unter den Pharisäern und hattest zu besorgen die Grabstätten für die Verstorbenen und die Richtstätte für die Missetäter, auf dass du dich in der Zukunft danach richten sollst.

13] Wohl aber jedem, der sich danach richten wird; sein Name soll glänzen im ewigen Buche des Lebens!

14] Nun aber begeben wir uns hinab zu den Hütten; unser Kisjonah hat schon ein mäßiges Morgenmahl bereitet und erwartet uns mit seinem Weibe und seinen Töchtern.«



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