Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


202. Kapitel: Josephs Bekenntnis vor dem Kindlein. Der Unterschied zwischen Maske und Klugheit. Des Herrn Vorsicht des Gerichtes der Welt wegen. Eine Mahnung des Kindleins an Maria. (07.05.1844)

01] Darauf berief Joseph das Kindlein zu sich und sprach zu Selbem:

02] »Höre Du mich nun an! Was ich nun sagen werde, das sage ich nicht Deintwegen, sondern deretwegen, die hier sind!

03] Denn ich weiß, daß Du allezeit durchschaust meine geheimsten Gedanken, und ich brauche darum nichts zu sagen zu Dir; aber die hier sind, sollen auch wissen, was ich zu Dir sage.

04] Siehe, es ist wahr, daß wir oft dem Äußeren nach wie lau gegen Dich waren;

05] aber diese Lauheit war nur eine Maske unserer inneren Achtung und Liebe zu Dir, auf daß Du nicht ruchbar würdest vor der grausamen Welt.

06] Wer kennt wohl besser als Du die Welt? Und so wirst eben Du es auch am besten einsehen, daß unser bisheriges öffentliches Benehmen gegen Dich also sein mußte, damit wir mit Dir sicher sind.

07] Und so bitte ich Dich, vergib uns so manche Scheinkälte unserer Herzen, die in sich aber dennoch allezeit bei Deinem Anblicke erglühten wie eine Morgenröte.

08] In Zukunft aber wollen wir uns gegen Dich schon auch offen so verhalten, wie es uns unser innerer Drang gebieten wird.«

09] Nach dieser Anrede sprach das Kindlein: »Joseph, du hast wahr geredet; aber dessenungeachtet gibt es dennoch einen großen Unterschied zwischen Maske und Klugheit.

10] Die Maske macht das Gemüt kalt; aber die Klugheit erwärmt es.

11] Wozu aber die Maske, wo die Klugheit ausreicht? Wozu Verstellung, wo die natürliche Weisheit tausend Sicherungsmittel bietet?

12] Bin Ich nicht der Herr, dem die ganze Unendlichkeit auf einen Wink gehorchen muß, weil sie nichts als nur ein festgehaltener Gedanke aus Mir ist, und ist da als ein ausgesprochenes Wort aus Meinem Munde?!

13] Bin Ich aber der alleinige, wahrhaftige Herr, wie sollte da zu Meiner Sicherung vor der Welt deine Gemütsmaskierung wirksamer sein als eine ganze Welt voll von Meiner ewigen Macht?!

14] Siehe, ein Hauch aus Meinem Munde, - und die ganze sichtbare Schöpfung ist nicht mehr!

15] Meinst du da wohl, Ich habe deiner Gemütsmaske vonnöten, um Mich und dich vor den Nachstellungen der Welt zu verwahren?

16] O nein, dessen bedarf Ich nicht! Denn Ich halte Mich nicht etwa aus Furcht vor der Welt verborgen

17] sondern allein nur des Gerichtes wegen, damit die Welt nicht gerichtet werde, so sie Mich erkennte in ihrem Argen.

18] Daher seid ihr alle in Zukunft wohl klug des Heiles der Welt wegen;

19] aber mit der Maske bleibt Mir ferne, denn diese ist in ihrer besten Stellung eine Geburt der Hölle.

20] Und du, Maria, kehre zu deiner ersten Liebe zurück, sonst wirst du dereinst viel Trauer zu bestehen haben darum, daß du Mich jetzt der Welt wegen durch die Maske deines Herzens kalt behandelst!«

21] Dieses Wort brach der Maria das Herz, und sie ergriff mit aller Macht ihrer Liebe das Kindlein und drückte Es an ihr Herz und koste Es mit der größten Glut ihrer mütterlichen Liebe.



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