Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


140. Kapitel: Des Cyrenius Bruderrede an seinen reuigen Diener und dessen Aufnahme in die Gesellschaft. Die neidischen Diener und des Cyrenius Antwort an sie. (13.02.1844)

01] Da Cyrenius aber die große Erkenntlichkeit dieses Dieners sah und seine große Reue, so tröstete er ihn und sprach:

02] »Siehe, du mein neuer Bruder im Herrn, wir Menschen alle sind fehlerhaft vor Gott, und Gott verzeiht uns die Fehler, so wir sie erkennen und bereuen;

03] und doch ist Gott heilig, während wir alle große Sünder vor Ihm sind!

04] Wenn aber der Heilige verzeiht, warum sollen wir Sünder gegenseitig uns unsere Fehler nicht verzeihen?!

05] Solange der Mensch nicht zur wahren Furie herabgesunken ist, so lange bleibt auch die Gnade Gottes über ihm;

06] ist aber der Mensch auf der Welt einmal ein ganzer Teufel geworden, da hat Gott Seine Gnade von ihm genommen und hat ihn übergeben dem Gerichte der Hölle!

07] Darum sind die zwanzig, die dich bestochen haben, von den drei Löwen zerrissen worden, - denn sie waren schon Teufel;

08] du aber wardst verschont, indem du nur ein Verlockter warst und warst blind und wußtest nicht, was du getan hast!

09] Gott der Herr hat Seine Gnade nicht von dir genommen und hat dir die Augen geöffnet, auf daß du zur vollen Einsicht der Sünde an dir gelangt bist.

10] Du hast deine erkannte Sünde bereut, und Gott hat dir die Sünde vergeben.

11] Darum vergebe auch ich dir das Vergehen an mir und mache dich somit zu meinem Freunde und zu meinem Bruder im Herrn!

12] Ich erhebe dich darum und führe dich hin zu meiner heiligst erhabenen Gesellschaft.

13] Sei daher nun guten Mutes, und folge mir, auf daß du von meinem hohen Freunde gesegnet werdest zu einem wahrhaftigen Bruder!«

14] Diese recht herrliche Rede des Cyrenius an dem verräterischen Diener war von bester Wirkung.

15] Der Diener ward getröstet und gestärkt dadurch, erhob sich und folgte, in Tränen zerfließend, dem Cyrenius hin zur Gesellschaft.

16] Als er dort anlangte, da hob Joseph, alsbald seine Hände auf und segnete den Diener und sprach dabei nichts als: »Der Herr sei mit dir!«

17] Darauf befahl Cyrenius, sogleich glänzende herrliche Kleider herbeizuschaffen und sie dem Diener anzulegen,

18] und belehnte ihn sogleich mit einem Ehrennamen und gab ihm dann einen Bruderkuß.

19] Darauf berief Cyrenius die gesamte Dienerschaft zusammen und stellte diesen neuen Bruder ihr vor und gebot ihr, ihm zu gehorchen.

20] Die Diener aber sprachen: »Wie bist du denn ein gerechter Richter, so du den Verräter erhöhst, uns aber erniedrigst, die wir dir allezeit die größte Treue erwiesen haben?«

21] »Kümmert euch das«, sprach Cyrenius, »wenn ich gut und barmherzig bin? Wem von euch ist bei mir je etwas abgegangen? Und doch hat noch nie einer von euch sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt!

22] Dieser aber war der Letzte allzeit unter euch und hat sein Leben um mich aufs Spiel gesetzt; durch seine Handlung bin ich meiner Feinde ledig geworden! Verdient er darum nicht diesen Rang?«

23] Hier verstummte die Dienerschaft und ging wieder an ihr Geschäft und war mit diesem Bescheide zufrieden.

24] Ein Jüngling der Himmel aber sprach: »Geradeso wird es einst auch im Reiche Gottes zugehen! Es wird mehr Freude über einen reuigen Sünder sein als über neunundneunzig Gerechte, die nie gesündigt haben!«



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