Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


Die Macht im Schwachen - eine kleine Gleichnisgeschichte (31.05.1847)

01]Es war dereinst eine Witwe, der drei Männer im Verlaufe von kurzen Zeitfristen gestorben waren. Als sie zum dritten Male Witwe ward, da überlegte sie bei sich tief trauernden Herzens, was sie tun solle: ob sie noch einen Mann nehmen solle, so man zum vierten Male um sie werben sollte?

02] Sieben Tage lang überlegte sie diese Sache. Am achten Tage aber siegte ihr Herz über ihre Gedanken, und sie sprach zu sich: »Ich habe nun die Überzeugung in mir gefunden, daß, so ich mir den vierten Mann nehme, auch dieser sterben würde in der Bälde, denn ich bin zu sehr mit weiblichen Reizen ausgestattet und diese bringen jedem Manne den Tod. Daher will ich nun Witwe verbleiben bis an mein Lebensende, und kein Mann soll mehr den Tod in meinen Reizen finden! Also beschlossen und also getan muß es sein! Denn ich sehe, daß ich für die Männer nicht geschaffen bin.«

03] Am neunten Tage nach solchem festen Beschlusse aber kam ein Freier und warb um ihre Hand. Und die Witwe gedachte ihres Beschlusses und sprach zu dem Werber: »Freund, was willst du von mir? Soll ich auch dir den Tod geben? - Hast du denn nicht gehört, wie bald die drei, denen ich Weib war, gestorben sind, da sie meinen Reizen nicht widerstehen konnten - und alle waren Männer von großer Stärke?! Du aber bist ein Schwächling und willst mich zum Weibe! Wirst du nicht schon in den ersten Tagen unter Meinen Reizen als ein Opfer deiner Schwäche fallen?!«

04] Aber der schwache Bewerber um die Hand der Witwe sprach mit gemessenen Worten: »Schönstes Weib! Wohl weiß ich das Schicksal der drei Männer, denen du ein Weib warst und von denen du eine dreifache Witwe bist. Aber siehe, nicht von der Art dieser deiner drei früheren Männer bin ich. Mir werden deine Reize nichts anhaben, denn ich kenne mich ebensogut, wie du dich selbst kennst! Was deinen früheren Männern zum Tode gereichte, das wird mir zum Leben gereichen! Und du sollst nicht verantwortlich sein, so ich auch stürbe an deiner Seite. Wohl aber sage ich dir: Siehe, ich werde deinen Leichnam eher ins Grab legen, als du den meinigen! Versuche es nur, und du wirst dich überzeugen, daß ich, als der »Schwache«, am Ende dennoch stärker sein werde als du und deine drei ersten, aber nun im Grabe modernden Männer, die an deinen Reizen den Tod fanden.«



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