Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 1


13] Der große König fragte ihn zuerst um die Ursache seines traurigen Unwillens. Und der Diener antwortete, er sei deshalb so traurig, weil er nicht auch habe hinausgehen können, um den großen König zu sehen. - Allein der König antwortete ihm, wenn es sich nur darum handle, so solle er nur sehr froh sein. Denn er werde sicher der erste von der ganzen Stadt sein, der den großen König sehen werde. - Das wollte ihm der ärmliche Diener durchaus nicht glauben. - Der große König aber sprach: »So du der erste bist, der den großen König sehen wird, so soll dir eine große Belohnung zuteil werden; und im Gegenteil aber würdest du für deinen Unglauben eine ebenso bedeutende Strafe zu erleiden haben.«

14] Und als sie so im Gespräche über das Sehen oder Nichtsehen des Königs begriffen waren, fing das Volk wieder zur Stadt hineinzuströmen an, und dem folgte denn endlich auch alsobald der königliche Triumphzug, und zwar ohne König.

15] Nun fragte der ärmliche Diener: »Wo ist denn der König, damit ich hinstiege und als erster ihn ansehe?« - Der König aber sprach: »Möchtest du erst den König suchen dort weit im Gedränge, so würdest du deiner Strafe nicht entgehen; denn sieh, da hätte ja alles Volk, das weit hinausgeeilt ist, ihn schon lange eher gesehen denn du! Nun aber siehe her, wie wir hier stehen auf der kleinen Flur des Hauses, so hat uns noch nicht ein Mensch eines Blickes gewürdigt; denn sie haben ihre Augen auf den Glanz des königlichen Gefolges gerichtet und spitzen auf den König! - Nun siehe du Mich an!«

16] Und der ärmliche Diener tat, wie ihm der große König befahl. Aber da wußte der Diener nicht, was das bedeuten solle. Und während er seinen Mann anzugaffen anfing, bemerkte er, daß der herrliche Triumphzug sich vor der Flur dieses Häuschens aufstellte und den großen König zu begrüßen anfing. Dann erst gewahrte der ärmliche Diener, daß dieser Mann der große König selbst war, bereute aber auch zugleich die verlorene Zeit, in welcher er den großen König mit seinen Sinnen außerhalb der Stadt erwartet hatte, während dieser ganz bei ihm war und sich von ihm bedienen ließ.«

17] Seht, gerade so ist es auch mit euch der Fall! - Während ihr den König außerhalb der Stadt in großartigem, unerwartetem Gedränge erwartet habt, hat er euch einen kleinen Strich durch eure etwas zu hoch angesetzte Rechnung gemacht und hat sich die Freiheit genommen, während ihr das Rauschen des unsichtbaren Gefühlsvogels sehnsuchtsvoll erwartet habt, sich ganz heimlich wie ein Dieb in euer Herz zu schleichen und sich da auf eine kurze Zeit - euch unbewußt - mit eurem Geiste zu besprechen. Jedoch aber ließ Ich in euch Meine Gegenwart durch eine verklärende, leise Ahnung fühlbar werden.



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