Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 214
01] Sagt Jurah: Ach ja, da ist Licht, Liebe und die höchste Wahrheit auf einem Punkte konzentriert beisammen! Ja, Herr und Meister von Ewigkeit, also möchte ich wohl ein Licht übers ganze Gesetz Mosis haben, und es ließe sich dann erst ganz unwandelbar fest in Deiner ewigen Ordnung leben und wandeln! Da fände nachher der Satan sicher kein Loch mehr, durch das er sich als ein im Schafspelze vermummter Wolf in Dein hellerleuchtetes Heiligtum einschleichen und aus Deinen heiligsten Geboten Menschensatzungen schmieden könnte!
Was ist Unkeuschheit? 02] Sage Ich: Mein Freund, die Stunde ist noch nicht gekommen, in der der finstere Fürst der Welt gerichtet werden wird; aber sie ist sehr nahe herangerückt! Wenn er aber auch gerichtet sein wird, so wird es dennoch nur zu bald Menschen geben, die mit Meinen reinsten Gesetzen in der Zeit noch ärger verfahren werden denn der Satan selbst. Auf dieser Erde wird stets das Licht mit der Finsternis zu kämpfen haben!
03] Sagt Jurah: Herr, warum denn? Wenn alle Menschen das Licht nur so erkennen wie ich nun, so bekommt der Satan und alle seine Bosheit einen ewigen Feiertag auf Erden! dass darauf unsere Kinder und Kindeskinder im gleichen Lichte gewissenhaftest erzogen und darin auch verbleiben werden bis ans Ende der Welt, das wird doch auch so sicher sein und unwandelbar durch alle Zeiten, als wie sicher und unwandelbar es anzunehmen ist, dass zwei Einheiten derselben Art und noch zwei Einheiten derselben für alle ewigen Zeiten vier Einheiten derselben Art ausmachen! Das bezweifelt kein Mensch auf der ganzen Erde, weil das eine unumstößliche und handgreifliche Wahrheit ist. Deine Erhellung der zehn Gebote Mosis macht jedes derselben zu einem mathematischen Grundsatze; wenn aber also, wem kann es dann nebenher nur von ferne einfallen, solch eine Wahrheit in irgendeinen Zweifel ziehen zu können?!
04] Weil aber da niemand mehr darin irgendeinen Zweifel haben könnte, so müßte er ja einer solchen klarst erkannten Wahrheit zufolge auch handeln, ansonst er sich selbst als ein barster Narr ansehen müßte, oder er würde dies aus eines jeden vernünftigen Menschen Munde über sich aussprechen hören!
05] Aber natürlich, wenn die heiligsten und für uns Menschen allergewichtigsten Wahrheiten stets in einer gewissen rätselhaften Umhüllung gegeben werden und der Mensch daraus nicht selten machen kann, was ihm beliebt, so gibt es dann freilich gleich Lügner in die schwerste Menge, durch die der Satan mit seinem lasterhaftesten Gefolge in die Gesellschaften der Menschen seinen ganz freien Einzug halten kann.
06] Darum gib uns Du, erhabenster Herr und Meister, die Wahrheit klar und offen, auf dass für die Folge aller Zutritt des Satans zu den Menschen durch die starke Mauer der unwandelbarsten Wahrheit verrammt werde!
07] Ich will zum Beispiele nur jenes Gebotes Mosis erwähnen, durch das er die Unkeuschheit als Sünde verbietet. Was ist denn so ganz eigentlich die Unkeuschheit? Besteht diese bloß darin, dass man ungewaschenen Leibes ein weibliches Wesen beschläft und sich nach dem Beischlafe abermals nicht wäscht? Oder wird darunter die begehrliche Geilheit und das Beschlafen einer Weibsperson, einer Jungfrau, einer Hure, eines Kebsweibes oder einer jungen Witwe verstanden?
08] Gehört die blinde Unzucht in diese Rubrik, oder gar die stumme, sodomitische Sünde, oder gar, so man mit einem sehr begehrlichen Weibe eines andern Ehemannes etwas hat? Soll man, um völlig keusch zu sein, diesen mächtigsten aller Naturtriebe gänzlich unterdrücken? Wenn aber das, so ist das Ehebtt doch sicher auch nichts anderes als eine Werkstätte einer als sittlich geltenden Unkeuschheittreiberei; denn wer steht uns dafür, dass der Mann sein üppiges Weib nicht öfter beschläft, als es zur Zeugung einer Frucht nötig ist?!
09] Ich habe Menschen gesehen und gekannt, die man wahre Goldmenschen nennen könnte, was da betrifft Güte, liebtätigkeit, Geduld, Sanftmut und Barmherzigkeit; aber im leidigen Punkte der Keuschheit waren und blieben sie schwach. Sie taten zwar vieles, um auch in diesem Punkte stark zu werden, aber da gab sich's in ihrer Natur nicht, selbst dann nicht, als die natürliche, völlige Unvermögenheit sie heimgesucht hatte; eine üppige Jungfrau machte noch immer den gleichen lüsternen Eindruck auf sie.
10] Und wieder habe ich Menschen gesehen und gekannt, die bei der größten weiblichen Schönheit so kalt stehenblieben wie ein Steinklotz, wahre Muster der Keuschheit, aber sonst im Leben unempfindliche Klötze für alles! Nichts rührte sie! Not und Elend der Armen waren für sie lächerliche Dinge, Tränen der Leidenden eine Mitleid erwecken wollende Finte; ein Weib war ihnen ein verächtlich und sehr leicht entbehrliches Unding, das in der Welt gar keinen andern Zweck hat als ein Acker für die Aussaat irgendeiner Getreideart. Die Ehe fanden sie als eine der lächerlichsten Einrichtungen in der menschlichen Gesellschaft. Ihrer Ansicht nach sollte man alle gesunden Weiber in ein großes Gebäude einsperren und sie dort von starken und wohl zeugungsfähigen Männern beschlafen lassen, so würden daraus lauter schöne, gesunde und starke Menschen hervorgehen; die häßlichen und schwachen Weiber aber sollte man ausrotten oder sie wie das Vieh zu den niedrigsten Arbeiten verwenden und so lange arbeiten lassen, bis sie krepierten! Das sind von mir erlebte Tatsachen!
11] Nun frage ich, ob der in der Keuschheit schwache Mensch nicht vor jedermanns Augen einen sehr großen Vorzug vor dem eiskalten Helden der Keuschheit hat! Von mir aus wohl! Nun, wie das bei Dir, erhabenster Herr und Meister, angeschrieben steht, weiß ich nicht und kann es auch nicht wissen. Um sonach auch in diesem von Moses verbotenen Punkte in eine bestimmte Ordnung zu kommen, um nicht stets in der verderblichen Angst zu sein, mit jedem solchen Akte vor Gott gesündigt zu haben, und ist der wie immer geartete Akt allzeit eine Sünde, so wirst Du, o Herr und Meister, wohl auch irgendein Heilmittel dagegen wissen, durch das man sich die Begierde und den Drang wie einen Schnupfen vertreiben kann! Denn es gibt nichts Miserableres für einen ehrlichen Menschen, als in einem fort von einer gewissen Seite zum Sündigen bei den Haaren gezogen zu werden; die Natur zwingt das Fleisch mit einer unwiderstehlichen Macht gleichfort dazu, und füllt man durch die freie Luft als ein naturschwerer Körper, so hat man dann aber auch schon eine Todsünde begangen! Das ist denn doch ein wenig zu stark, besonders für einen Menschen, der gottlob noch stets nach Möglichkeit Kopf und Herz am rechten Flecke getragen hat. Darüber also, Herr und Meister, möchte ich von Dir auch eine klare Erläuterung haben! Denn das scheint mir wenigstens einer der heikligsten Punkte zu sein!