Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 31
Mathael spricht über den Weg zum Ziele des wahren Lebens. 01] Sagt Cyrenius: Nun gut; ich will das sehen, obschon ich einen scharfen Richter machen werde!
02] Sage mir daher, du weiser Mathael, wenn denn die Sache des Lebens sich durchgängig also verhält, wie du sie ehedem ganz scharf gegründet erörtert hast, was haben nachdem Millionen zu gewärtigen, die von allem dem keine Silbe wissen, und die vielen Millionen, die künftig nach uns irgend auf der weiten Erde geboren und davon auch keine Silbe in die Erfahrung bringen werden; wie sieht es mit all deren ewigem Leben aus?
03] Sagt Mathael: Ganz gut! Auch allen diesen war eine Lehre eigen und genügte, die Phantasie der Seele rege zu erhalten. In solcher Phantasie begründet sich mit der Zeit die Seele und lebt endlich darin, wie in einem Traume, und kann in solchem Traume Tausende von Jahren leben.
04] Aber das ist noch lange kein wahres ewiges Leben; solche Seelen haben endlich, so sie zu einem wahren ewigen Leben eingehen wollen, in der sogenannten Geisterwelt bei weitem größere Kämpfe und Proben durchzumachen, als der Kampf in sich da ist, dessen ich vorhin nur so im Vorbeigehen erwähnte.
05] Wer aber hier diesen Weg geht, der erreicht mit freilich so mancher nicht geringen Mühe und mit einem wahren weisen Lebensernste das ewige Leben in aller Wahrheit, Klarheit und vollster Gediegenheit schon hier in wenig Jahren, was er sonst nach dem schläfrigen Sinne der Seele erst nach mehreren Hunderten, oder gar nach vielen Tausenden von Jahren erreichen kann, wenn es gut geht. Geht es dabei aber nur ein wenig schief, so kann eine hier oder sonstwo ganz verdorbene Seele wohl auch ein Weltenalter ums andere ein höchst elendes Traumleben genießen, in welchem sie außer sich und außer ihren höchst elenden Phantasiegebilden durchwegs zu keiner Anschauung und Wahrnehmung von irgend etwas Wahrem, Reellem und außer ihr Seiendem gelangt; dessenungeachtet aber lehren sie dennoch gleichfort die bittersten Erfahrungen, dass sie von lauter Feinden umlagert ist, gegen die sie sich nicht zur Wehr stellen kann, weil sie dieselben ebensowenig irgend erschauen kann, als auf dieser Welt irgendein Stockblinder ersehen kann, von woher sich ihm irgendein Feind naht, oder wo sonst irgendeine Gefahr seiner harret!
06] Sieh, ein so recht stockblinder Mensch ist bei all seiner Blindheit aber am Ende dennoch nicht völlig lichtlos; denn die Phantasie seiner Seele ist in sich dennoch gleichfort ein Licht, und der Blinde erschaut Dinge, die irgend erleuchtet sich wie die Dinge der Naturwelt darstellen, aber sie haben keine Beständigkeit und ihr Licht auch nicht. Bald wird es hell, bald wieder ganz matt und vergeht oft wohl ganz und gar, so dass ein solcher Blinder dann im Ernste eine Zeitlang vollkommen licht- und wesenleer ist.
07] Und siehe, nahe also geht es einer Seele in ihrer völligen Abgeschiedenheit; sie hat bald Licht, bald wieder Nacht. Aber weder Licht noch Nacht ist in der Seele irgendeine Wahrheit, sondern bloß nur ein zeitweiliger Abschimmer von dem, was die Seele ohne ihr Wissen und Wollen aus den Außensphären in sich ungefähr aufnimmt, wie ein am Grase hängender Tautropfen in sich aufnimmt das Bild der Sonne. Der Tropfen ist nun wohl erleuchtet, aber er hat dazu kein insoweit gehendes Bewußtsein, dass er das einsichtlich erkennte, von wannen das Licht in seine Masse gekommen ist.
08] Was ich im Namen meiner vier Brüder dir hier sagte, ist Sache unserer mit großen Leiden verbundenen Erfahrung und sondert alles Scheinleben von dem wirklichen, wahrhaft freien, selbständigen Leben.
09] Du hast hier ein leidendes und unfreies und ein selbsttätiges und darum freiestes Gottleben vor dir; willst du das eine oder das andere, das hängt nun von deinem Willen ab; aber die Sache verhält sich einmal also, und kein Gott kann dir ein anderes Lebensverhältnis als gültig aufstellen.
10] Siehe, nun sage ich dir noch etwas: Meine Seele, die jetzt in ein stets helleres Schauen übergeht, sieht und erkennt nun schon aus sich recht wohl den Heiland, der sie vor kurzem erst von einer Menge unsichtbarer Feinde des höheren freien Lebens losgemacht hat durch die Macht Seines freiesten Gottlebens; sieh, in Ihm ist mehr denn in dem ganzen sichtbaren All der Schöpfung.
11] Er, als der schon von Ewigkeit her Sich erkannte Zentralpunkt alles Seins und Lebens will aber nun Sein Leben, und dadurch das Leben aller Menschen, durch Sein Leben noch mehr konfirmieren; aber solches wird Er nur erreichen durch eine unerhörte Selbstverleugnung. Er wird dies Sein gegenwärtiges Leben lassen, um dadurch in die ewige Herrlichkeit alles Lebens für Sich und dadurch auch für alle Menschen einzugehen. Dann erst wird alle Kreatur gewisserart ein anderes Gesicht und eine andere innere Ordnung überkommen; aber dennoch wird der Satz stehenbleiben: Ein jeder nehme die Bürde des äußern Elends auf die eigenen Schultern und folge Mir nach! - Verstehest du solches nun?
12] Sagt Cyrenius, zwar noch wie ein wenig mißmutig: Jawohl, ich verstehe dich wohl und kann nicht umhin, einzubekennen, dass du die Wahrheit geredet hast; aber dessenungeachtet lassen sich solche Lebensbedingungen sehr schwer anhören!